"Dummheit ist der Mangel an Phantasie"

Ernst Kreuder:
Die Gesellschaft vom Dachboden

Als Ernst Kreuders Erzählung 1946 erschien, war sie ein großer Erfolg und das erste ins Englische übersetzte Werk aus dem Nachkriegsdeutschland, das schließlich mit der Trümmerliteratur einen ganz anderen Weg gehen würde. Was Kreuder hier vorlegte, war nicht der Versuch der Vergangenheitsbewältigung durch deren Beschreibung, sondern der Anschluss an das, was vor dem Krieg geschrieben wurde, ohne jedoch den Entwicklungen kritiklos gegenüberzutreten.

Sechs Männer treffen auf einem Dachboden zusammen, spielen zwischen altem Gerümpel Kaufladen und Fotoatelier, lesen zusammen Gedichte oder korrigieren gemeinsam Diktate. An dem Tag, an dem der Erzähler Berthold Brand zu ihnen stößt, finden sie eine Schatzkarte und gründen einen Geheimbund, den "Bund der Sieben". Programmpunkte sind ihnen etwa Anhänglichkeit, Friedfertigkeit, Aufrichtigkeit, Unabhängigkeit. So bilden sie einen lockeren Verbund von Freunden, in dem jeder seinen eigenen Weg geht, nachdem sie schließlich durch ein Warenhaus von dem Dachboden vertrieben werden. Berthold, der, als dies geschieht, auf Schatzsuche unterwegs ist, erlebt eine Menge anderer Dinge, bevor er die Freunde sucht, um von dem Schatz mit ihnen wie geplant einen Dampfer zu kaufen. Auf seiner Schatzsuche begegnet er Herrn Quichow, dem er hilft, dessen Tochter Clothilde aus den Klauen der Mutter zu befreien, die sie mit einem reichen Schuhfabrikanten verheiraten möchte. Sie fliehen zu Herrn Quichows Bruder, dessen Sohn von zu Hause abgehauen ist, um des Vaters Drogerie nicht übernehmen zu müssen. Der Erzähler erkennt auf einem Photo, das den verlorenen Sohn zeigt, Wilhelm, der mit ihm auf dem Dachboden war. Zusammen mit Clothilde macht er sich auf die Suche nach dem Schatz. So geraten sie schließlich in die Falle des Alten vom Wehr, der durch Dunkelheit und Fasten Menschen zur Besinnung bringt. Vom Alten vom Wehr eine Probe des Schatzes mitnehmend und Clothilde zurücklassend, macht sich der Erzähler auf die Suche nach seinen Freunden. Dabei gerät er in einen skurrilen Stummfilm und findet schließlich Waldemar, der schon einen Dampfer angezahlt hat, im Hafen. Zusammen laufen sie auf Stelzen mit Plakaten durch die Stadt, auf denen der "Bund der Sieben" zusammengerufen wird. Nach dem Treffen in einer Grotte, auf dem sie noch einmal den Bund erneuern, gehen sie am nächsten Morgen an Deck des gemeinsamen Dampfers.

Die Geschichte ist so rund, dass man Gefahr läuft, sich bei einer Zusammenfassung in Einzelheiten zu verlieren. So klärt sich zum Beispiel das Verhältnis zwischen Wilhelm und seinem Vater; Clothildes Mutter ist bei dem Alten vom Wehr erst einmal gefangen mit der Hoffnung, dass sie ihre Liebe wiederfinden möge, die sie nach Angaben ihres Mannes verloren hat. Der Erzähler verschwindet am Ende in eine andere Welt, in die Welt des Erzählens. Papier und Schreibmaschine hat Waldemar schon besorgt, und so kann es dann losgehen und die Erzählung enden.

Kreuder schrieb diese Geschichte in recht kurzer Zeit nach den Erzählungen Schwebender Weg und Die Geschichte durchs Fenster, von denen letztere in dem Buch als vom Erzähler geschrieben erwähnt wird. So zeigt die Gesellschaft vom Dachboden trotz ihres märchenhaften Charakters einen Hang zur realen Welt, den Ernst Kreuder gerade aufgrund des Vorwurfes, zu unrealistisch zu schreiben, in späteren Büchern noch stärker ausprägt. Die Handlung ist durch die recht eingängige Sprache fließend, was den märchenhaften Charakter noch verstärkt. Wie selbstverständlich werden hier Unselbstverständlichkeiten dargestellt. Dennoch kann es an manchen Stellen, die gerne als "pseudophilosophisch" abgetan wurden, lang werden. Doch sind gerade diese Stellen, die häufigen Reden Waldemars und die Gebete des Alten vom Wehr, bezeichnend für das Programm dieser Erzählung: die Beschäftigung mit den Dingen, die passieren oder anliegen, ohne dabei über Kleinigkeiten hinweg zu gehen, vor allem aber auch die Beschäftigung mit den menschlichen Bedürfnissen, die unter der Oberfläche so gerne übersehen werden. Die Zeit, die der Autor sich hier genommen hat, die Monologe wiederzugeben, muss sich auch der Leser nehmen, ja gönnen, um sie genießen und verstehen zu können. Der Gefahr dieses Monologisierens scheint Kreuder sich auch bewusst gewesen zu sein: So wird zum Beispiel Waldemar durch den Erzähler als "Prediger" bezeichnet, was die Gefahr natürlich nicht bannt, sie jedoch eingesteht. Somit wird die Erzählung zu einem gewissen Grade auch schon Literatur über Literatur. Zudem werden immer wieder Autoren mit Werken genannt und besprochen (z.B. Hesses Morgenlandfahrt), die einen ähnlich märchen-haften Charakter haben. In einem Fenster im ersten Stock begegnen Waldemar und Berhold auf ihren Stelzen einem Literaturkritiker, mit dem sich Waldemar über Literatur und Kritik unterhält. Später formuliert Waldemar seine Erwartung von der Kunst folgendermaßen: "Von der Kunst zum Beispiel erwarte ich immer wieder, dass sie die Realität der Abbilder, der Abziehbilder durchstößt und ins Irreale fortschwebt." Genau das gelingt Kreuder hier, und er wird dies in seinen späteren Werken auch immer wieder angehen.

50 Jahre nach der Erstveröffentlichung hat der Rotbuch Verlag das Buch 1997 neu aufgelegt. Zu dieser Wiederveröffentlichung schreibt Jan Bürger in seinem Nachwort: "Vor einem halben Jahrhundert war das Erscheinen der Gesellschaft vom Dachboden eine Sensation. Heute ist es zumindest eine seit langem überfällige Korrektur der Literaturgeschichte." Ob dies eine Korrektur der Literaturgeschichte war, bleibt fraglich. Ein wichtiger, lobenswerter Versuch ist es in jedem Falle.

Benedikt Viertelhaus.

Quelle: Kritische Ausgabe 1/2002